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Klassiker, Jazzer, Impro-Talent: Interview mit Helmut Lörscher

Helmut Lörscher darüber, wie er sich das Klavierspielen beibrachte, was ihn an seinem Beruf begeistert und warum seine Improvisations-Studierenden heute »Lichtjahre« weiter sind als früher
Helmut Lörscher spielt an einem Flügel

Als Helmut Lörscher Professor an der Hochschule für Musik Freiburg wurde, war das Internet nur eine nerdige Spielerei, die deutsche Wiedervereinigung lag in der Luft und im Radio lief Sinéad O’Connors Hit »Nothing Compares 2 U«. Nach 33 Jahren als Professor für Improvisation und Angewandtes Klavierspiel gibt der Pianist am 16. Mai 2023 sein Abschiedskonzert. Ben Klaußner hat mit ihm darüber gesprochen, wie er sich selbst das Klavierspielen beibrachte, was ihn an seinem Beruf begeistert und warum seine Improvisations-Studierenden heute »Lichtjahre« weiter sind als früher.

Herr Lörscher, Sie haben 33 Jahre lang Studierende unterrichtet. Wie hält man so lange seine Motivation, seine Begeisterung für die Lehre aufrecht?
Helmut Lörscher: Eine große Motivation für mich war immer zu sehen, wie sich die Studierenden im Laufe ihres Studiums künstlerisch und menschlich weiterentwickelt haben. Dass ich daran einen Anteil hatte, macht mich auch heute noch ein wenig stolz. Denn ich habe ja im Laufe der Jahre einen wahnsinnig großen pädagogischen und methodischen Erfahrungsschatz aufgebaut – Wissen, dass ich an meine Studierenden weitergeben konnte. Auch sie haben mir dabei geholfen, mich weiterzuentwickeln. Denn sie alle hatten unterschiedliche Ideen, Fragen und Herangehensweisen an die Musik und eine andere Vision davon, was sie künstlerisch erreichen wollten. Das habe ich versucht, als Lehrer aufzugreifen und zu fördern. Deshalb wird dieser Beruf auch nie langweilig. Ich hatte zwischendurch nach vielen Jahren auch mal eine gewisse Art Routine-Müdigkeit. Damals habe ich mich in Hochschulgremien engagiert und war sechs Jahre als Prorektor tätig. Aber danach war ich froh, mich wieder voll auf die Lehre konzentrieren zu können.

Sie und Ihre Studierenden haben sich weiterentwickelt, aber Ihr Fach, das ursprünglich »Schulpraktisches Klavierspiel« hieß, auch.
Helmut Lörscher: Ja, das Fach, und auch die Bewerberinnen und Bewerber, sind heute Lichtjahre von dem entfernt, wie es 1990 war. Damals war es dafür gedacht, Lehramts-Studierenden grundlegende praktische Fähigkeiten zu vermitteln, die sie für ihren Beruf als Lehrerinnen und Lehrer brauchten. Im Laufe der Zeit entwickelte sich das Fach aber glücklicherweise immer stärker in eine künstlerisch-pädagogische Richtung – eine Errungenschaft, die ich als langjähriger Hochschullehrer mitprägen konnte. Eine Folge davon war, dass meine Professur im Januar 2020 umbenannt wurde in»Klavierimprovisation und Angewandtes Klavierspiel«. Der künstlerische Aspekt der Improvisation steckt in diesem Titel bereits drin. Dadurch wurden auch andere Studierende darauf aufmerksam.

Wie unterscheiden sich Ihre heutigen Studierenden von denen der 1990er-Jahre?
Helmut Lörscher: Sie steigen heute insgesamt gesehen in meinem Fachbereich auf einem viel höheren Niveau ein als damals. Was früher im Unterricht die Highlights waren, zum Beispiel kreativ zu improvisieren, das ist heute Alltag. Damals orientierte ich mich mehr an – selbst erstellten – curricularen Vorgaben, fasste das Fach enger. Ich war strenger zu mir selbst und vielleicht auch zu meinen Studierenden. Die meisten von ihnen mussten damals zunächst einmal die Grundlagen des Schulpraktischen Klavierspiels lernen, bevor wir uns gemeinsam interessanteren Dingen wie der freien Improvisation zuwenden konnten.

Sie sind bekannt für Ihre Improvisationen, die Sie bei Konzerten oft auch spontan auf Zuruf aus dem Publikum spielen. Wie haben Sie das gelernt?
Helmut Lörscher: Es war ein langer Weg. Ich habe mir als Kind das Klavierspielen selbst beigebracht. Ich komme nicht aus einer Musikerfamilie, aber wir hatten zuhause ein Klavier, an dem ich üben konnte. Dabei entdeckte ich meine Fähigkeit, frei nach Gehör zu spielen. Ich habe zum Beispiel Werbe-Jingles aus dem Fernsehen nachgespielt, Filmmusik oder Lieder, die ich irgendwo gehört hatte. Klassische pianistische Talente werden im Kindesalter geschmiedet, aber das ging an mir vorbei, weil ich dazu keinen adäquaten Unterricht hatte. Ich konnte gut Improvisieren, war aber übefaul – die Stücke, die ich später im Klavierunterricht spielen sollte, habe ich mir immer erst kurz vorher angeschaut und dann frei vom Blatt gespielt. In diesen Jahren habe ich das Fantasieren am Klavier gelernt. Das Improvisieren war für mich ganz normal, ich wusste nicht, dass es etwas Besonderes ist. Schon damals spielte ich stilübergreifend, ob romantisch, klassisch oder modern, das war mir egal.

Noch heute spielen Sie stilübergreifend und fühlen sich in der klassischen Musik ebenso wohl wie im Jazz. Studiert haben Sie aber Klavier, Musiktheorie und danach Schulmusik an der Hochschule für Musik Freiburg. Ab wann haben Sie sich für Jazz interessiert?
Helmut Lörscher: Mein Bezug zum Jazz kam spät, erst als Student habe ich mich damit ernsthaft beschäftigt. Dann aber hat er mich richtig gepackt und mich nie mehr losgelassen. Während meines Klavierstudiums habe ich mich tief hineingearbeitet in die Jazzmusik. Heute würde ich mich deswegen als »Doppel-Muttersprachler« bezeichnen: Ich bin im Jazz ebenso selbstverständlich zuhause, wie in der klassischen Musik. Auch in meinem Jazz-Trio, dem »Helmut Lörscher Trio«, ist es unser Anspruch, kammermusikalischen Jazz mit Elementen aus der klassischen Musik zu kombinieren. Wir spielen zum Beispiel Jazz-Musik über Themen von Johann Sebastian Bach oder Richard Wagner. Das Trio habe ich 2001 mit dem Kontrabassisten Bernd Heitzler und dem Schlagzeuger Harald Rüschenbaum gegründet. Ich schreibe die Kompositionen und Arrangements, und wir treten regelmäßig auf und haben zusammen mehrere CDs eingespielt.

Darüber hinaus waren Sie mit den bekannten Kabarettisten Matthias Deutschmann und Georg Schramm auf Tour. Wie kam diese Zusammenarbeit zustande?
Helmut Lörscher: Matthias Deutschmann nahm Anfang der 1990er-Jahre einige Zeit Klavierunterricht bei mir, wir haben uns angefreundet. Die Idee für das Programm ist aber spontan entstanden: Vor einem Fußballspiel des SC Freiburg habe ich mich in seiner Wohnung an den Flügel gesetzt und das Badnerlied gespielt, um für das Spiel Mut zu machen. Ich spielte es als Fuge im Stil von Johann Sebastian Bach. Matthias Deutschmann war davon begeistert und ich musste es dann noch als Sonate spielen, mit Anklängen an Robert Schumann oder Richard Wagners »Walkürenritt« und so weiter. Das Programm, mit dem ich mit Matthias Deutschmann und Georg Schramm auf Tournee gegangen bin, nannten wir als satirischen Festakt auf die 1848er-Revolution »Bunter Abend für Revolutionäre«.

Worauf sind Sie am meisten stolz, wenn Sie auf Ihre Hochschulzeit zurückblicken?
Helmut Lörscher: Meine Erfahrungen in der künstlerischen und pädagogischen Arbeit, meine klassische Sozialisation und meine große Jazz-Begeisterung haben dazu geführt, dass ich einen großen Erfahrungsschatz aufbauen und dieses Wissen weitergeben konnte. Stolz bin ich darauf, dass meine Studierenden im »Bundeswettbewerb Schulpraktisches Klavierspiel« zahlreiche Auszeichnungen erhalten haben und viele von ihnen Dozenten-Stellen an Musikhochschulen bekommen haben.

Sie werden als Professor nicht sofort aufhören, sondern Ihre Studierenden noch bis zu ihren Abschlüssen begleiten. Was kommt danach?
Helmut Lörscher: Ich werde auch weiterhin Musik komponieren und so oft wie möglich mit meinem Jazz-Trio und als Solist auftreten. Wir nehmen gerade eine neue CD auf, die noch 2023 erscheinen wird. Als künstlerische Person werde ich noch über Jahre aktiv sein und hoffe einfach, dass meine Gesundheit mir keinen Strich durch die Rechnung macht. Das Unterrichten muss ich irgendwann loslassen. Aber von der Pflicht entbunden zu sein, jungen Leuten etwas beibringen zu »müssen«, wird sich irgendwann auch richtig anfühlen.

Weitere Informationen zu Helmut Lörschers Abschiedskonzert stehen auf unserer Website.

Foto: Philipp von Ditfurth

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