Interkulturalität – Musik – Pädagogik

Am 08.11.2018 füllt sich gegen 16 Uhr das obere Foyer in der Musikhochschule mit mehr Menschen als gewöhnlich an ein einem Donnerstagnachmittag im laufenden Semester. Es dauert nicht lange und alle tragen rote Bänder mit Namensschilder um den Hals und kommen bei Kaffee und Gebäck an Stehtischen ins Gespräch. Kurz darauf wandert die knapp 100-köpfige Gruppe in den Kammermusiksaal zum Eröffnungsvortrag des Symposiums „Interkulturalität – Musik – Pädagogik“, zu dem Lehrkräfte, (Nachwuchs-)WissenschaftlerInnen, VertreterInnen musikkultureller Verbände und MusikerInnen aus Österreich, der Schweiz und Deutschland nach Freiburg gereist sind.

Im Eröffnungsvortrag entwickelt Prof. Thade Buchborn aus Theorie und Empirie drängende Fragen für die Musikpädagogik im Herbst 2018, an denen sich die Diskussionen unter den Teilnehmenden im Laufe des zweitägigen Symposiums mit 18 Vorträgen und 8 Workshops immer wieder entzünden:

Auf die Frage danach, ob Interkulturalität eine Spezialaufgabe bleibt oder zum Normalfall im Musikunterricht werden sollte, hat Christopher Wallbaum eine Antwort. In der Keynote am Freitagmorgen in der Aula der Pädagogischen Hochschule stellt er Überlegungen zu seinem Modell vor, bei dem das Erfahren, Erfinden und Vergleichen von Musikpraxen im Zentrum des schulischen Musikunterrichts stehen soll. Ausgehend von einer grundsätzlichen musikalischen Qualität wie beispielsweise dem Grooven ergeben sich ‚Körbe voller Praktiken‘, aus denen sich Bezüge zur Pluralität und Diversität von Musikkulturen im Vergleich ergeben. Das Modell „Musikpraxen erfahren und vergleichen“ verschiebt den Fokus in Richtung der Musikpraxen, sodass sich die Frage nach Spezialaufgabe oder Normalfall von Interkulturalität gar nicht mehr aufdrängt.

In Raum 156 hat man den Eindruck, dass sich die Frage nach Normalität und Spezialaufgabe gar nicht stellt. Etwa 30 Rahmentrommlerinnen und –trommler bilden wie selbstverständlich einen Kreis: Alle sind hochkonzentriert und lauschen fasziniert den Anweisungen der Workshopleiterin Arezoo Rezvani (‚Persien im Blick‘). Die Erweiterung des jeweils eigenen musikkulturellen Repertoires findet hier ebenso statt wie bspw. im schulpraktischen Workshop von Kian Jazdi. Mit dem Anspruch transkultureller Begegnung werden Volks- und Kinderlieder „zwischen Orient und Okzident“ als Quodlibet zusammengesetzt.

Eine Frage, die sich bei einer Tagung mit dem Begriff Interkulturalität im Titel geradezu aufdrängt, ist die nach dem Kulturbegriff und seinen impliziten oder expliziten Implikationen für Unterrichtspraxen, -materialien und –konzepten: Olivier Blanchard greift mit einem praxeologischen Ansatz in seinem Vortrag auf ein Kulturverständnis zurück, demzufolge sich Kultur als Wissensordnung in den Praktiken selbst manifestiert. Auf diese Weise entlarvt er in der Diskussion über Interkulturalität und Musikunterricht die Essenzialisierung von Musik als Eurozentrismus. Dorothee Barth prüft und unterstreicht angesichts aktueller populistischer Strömungen und einer aufkeimenden gesellschaftlichen Dichotomisierung in „wir“ und „die Anderen“ das Potenzial des beudeutungsorientierten Kulturbegriffs für die Musikdidaktik. 

Eine interessante Perspektive auf die Frage nach der Entwicklung und musikkulturellen Öffnung der MusiklehrerInnnenbildung bot die Podiumsdiskussion am Freitagnachmittag mit Klara Barth (Schülerin am Wentzinger Gymnasium), Verena Bons (Studentin an der Hochschule für Musik Freiburg), Bernd Clausen (Professor für Musikpädagogik an der Musikhochschule Würzburg), und Martin Hopf (Musiklehrer an der Körschtalschule in Stuttgart Plieningen).  Wie verändert sich der Musikunterricht, wenn Musiklehrkräfte mit beispielsweise Hauptfach Oud Musik in der Schule unterrichten? Die Studentin begrüßt die Einführung des Hauptfaches Weltmusik für den Lehramtsstudiengang Musik an der Hochschule für Musik in Freiburg und sieht darin die Gelegenheit, sich mit neuen Musikkulturen zu beschäftigen. Klara Barth sieht auf Seiten der SchülerInnen eine grundsätzliche Offenheit demgegenüber, ist aber auch mit dem Musikunterricht so wie er bislang erteilt wird zufrieden. Sehr viel kritischer als die inhaltliche Ausgestaltung des Musikunterrichts sieht sie die grundsätzlich hohe Arbeitsbelastung der LehrerInnen, die sie aus der SchülerInnenperspektive wahrnimmt.

Sehr positiv auf- und angenommen wurde das Format des Open Space: In vier ‚Focus Groups‘ wurden Themen besprochen, die sich im Verlauf des Symposiums unter den Teilnehmenden herauskristallisierten: Was tun für eine Vernetzung zwischen Theorie und Praxis? Patriotismus im musikpädagogischen Diskurs - Sonderfall Deutschland? In der Interessensgruppe „Interkulturalität & Musikschule“ wurden zukünftige Kooperationen zwischen unterschiedlichen Akteuren und Institutionen über die Tagung hinaus verabredet.

Die Postersession diente dazu, verschiedene Initiativen, Institutionen und (Forschungs-)projekte einem breiten Publikum bekannt zu machen: Die Vereine Tamburi Mundi e.V. und das Roma Büro Freiburg e.V. informierten über ihre Angebote genauso wie die Orientalischen Musikakademie Mannheim; DoktorandInnen stellten sich der Herausforderung ihre Studien auf einem Plakat zu bündeln und aus dem Stegreif darüber zu informieren; studentische Initiativen wie das ‚Orchester con anima‘ oder ‚MusiCasa‘ präsentierten ihre ehrenamtliche Arbeit.

Das offizielle Programm endete mit dem Konzert ‚Beyond musical borders‘ dort, wo alles begann - im Kammermusiksaal. Insgesamt über 20 Künstlerinnen und Künstler wurden in verschiedenen Besetzungen dem ‚grenzüberschreitendem‘ Motto des Konzertes auf musikalischer Ebene gerecht. So war beispielsweise der Oud-Spieler Samir Mansour Teil eines Ensembles, das David Bowies „Loving the Alien“ neu interpretierte; Juliane Wahl an der Querflöte und Mehmet Ungan an der Ney bildeten ein seltenes aber umso faszinierendes Flötenduo; Johannes Treß am Saxophon spielte südindische Rhythmuskompositionen begleitet unter anderem von Philip Stade am Kontrabass. Einen krönenden Abschluss des Abends und des Symposiums war die Zugabe mit allen beteiligten Musikerinnen und Musikern gemeinsam auf der Bühne und der tosende Applaus der rund 200 KonzertbesucherInnen.