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Ein Einfamilienhaus für die Schlagzeug-Familie

Vor 50 Jahren gründete Bernhard Wulff das Schlagzeug-Ensemble. Ein Gespräch über bescheidene Anfänge, aufregende Konzertreisen und die Bedeutung des Ensemble-Spiels
Bernhard Wulff bei einer Rede im Konzertsaal der Hochschule

Als Schlagzeug-Professor Bernhard Wulff 1972 an die Hochschule für Musik Freiburg kam, gab es an der Hochschule »zwei verrostete Pauken und ein paar Triangeln«. Ein Jahr später gründete er das Schlagzeug-Ensemble, das dieses Jahr sein 50-jähriges Jubiläum mit mehreren Konzerten feiert (Auftaktkonzert am 25. Mai 2023). Im Interview spricht Ben Klaußner mit ihm über bescheidene Anfänge, aufregende Konzertreisen und darüber, warum das Ensemble-Spiel für Schlagzeug-Studierende so wichtig ist.


Herr Wulff, Sie haben 1972 damit angefangen, die Schlagzeug-Klasse an der Hochschule für Musik Freiburg aufzubauen. Wie kam es dazu?
Bernhard Wulff: Es gab an der Hochschule bereits seit 1965 ein sehr unternehmungslustiges Institut für Neue Musik. Aber eine Schlagzeugklasse, die ein wichtiger Motor für den Bereich der zeitgenössischen Musik ist, gab es noch nicht. Ich wurde vom damaligen Rektor der Hochschule, dem berühmten Pianisten Carl Seemann, damit beauftragt, eine Schlagzeug-Klasse aufzubauen.

Hat Sie das überrascht, dass Sie darum gebeten wurden?
Bernhard Wulff: Nein, ich war damals 25 Jahre alt und in diesem Alter denkt man, einem gehört die Welt und es ist normal, dass man von älteren Personen um so etwas gebeten wird. (lacht) Ich hatte einen Lehrauftrag für Schlagzeug an der »Musik-Akademie der Stadt Basel« und war Musiker im »Basler Radio-Sinfonieorchester«, darüber kam der Kontakt zu Carl Seemann zustande.

Wie sind Sie als frisch gebackener Schlagzeug-Professor vorgegangen?
Bernhard Wulff: Ich habe mir zuerst überlegt, welchen Grundstock an Instrumenten wir brauchen. An der Hochschule gab es damals nur zwei verrostete Pauken und ein paar Triangeln, wir fingen also bei null an. Ich bestellte mir sämtliche Instrumentenkataloge und schrieb ab, was ich gern hätte. Es wurde eine ziemlich lange Liste im Wert von etwa 250.000 D-Mark – zu diesem Preis hätte man damals ein schönes Einfamilienhaus bekommen. Aber Carl Seemann hat diesen ambitionierten Plan sehr unterstützt und er hatte großes Vertrauen in mich. Wir bekamen die wichtigsten Instrumente und einen jährlichen Grundbetrag für Neuanschaffungen, der bis heute existiert und der extrem segensreich ist.

Inzwischen sind Sie seit über 50 Jahren an der Hochschule für Musik Freiburg tätig. Was waren für Sie die größten Erfolge in dieser Zeit?
Bernhard Wulff: Ich denke, wir haben in 50 Jahren nicht viel falsch, aber Vieles richtig gemacht. Einer unserer wichtigsten Erfolge war, dass es uns gelungen ist, viele sehr gute Schlagzeugerinnen und Schlagzeuger auszubilden. 17 unserer ehemaligen Studierenden wurden später selbst Schlagzeug-Professorinnen und -Professoren an Musikhochschulen. Andere wurden bekannte Solistinnen oder Solisten, mehr als 30 unserer Absolventinnen und Absolventen haben sehr gute Stellen in Orchestern bekommen. Noch viel mehr wurden Lehrende an Musikhochschulen oder an Musikschulen – wir konnten also allerlei Früchte unserer Arbeit ernten. Außerdem wurden viele Kompositionen für uns geschrieben und aufgeführt und damit das Schlagzeug-Quartett als Gattungsform quasi neu erfunden und etabliert. Unser Schlagzeug-Ensemble, das ich 1973 gegründet habe, hat sich schnell einen Ruf erarbeitet. Wir haben viele Preise und Auszeichnungen erhalten und wurden zu Festivals und Konzertreisen auf der ganzen Welt eingeladen.

Ihre Konzertreisen mit dem Schlagzeug-Ensemble führte Sie in so interessante Länder wie Brasilien, Aserbaidschan, die Mongolei, Süd- und sogar Nordkorea. Was ist Ihnen davon am stärksten in Erinnerung geblieben?
Bernhard Wulff: Wir haben Reisen in insgesamt 25 fantastische Länder unternommen – nicht, um Konzerttourismus zu betreiben, sondern weil es für Studierende ein besonderes Erlebnis ist, mit Kommilitoninnen und Kommilitonen aus anderen Kulturkreisen zusammenzukommen und gemeinsam Musik zu machen. Besonders beeindruckt hat mich bis heute die Mongolei: In dieser Steppenlandschaft gibt es Pferde, Kamele, Ziegen, Schafe und Vögel, ansonsten herrscht aber eine unglaubliche Leere. Es gibt noch nicht einmal links und rechts. Wenn in dieser Landschaft hinein plötzlich ein Flötenton erklingt, ist das ein sehr ergreifendes Erlebnis. Ein Stück, das man nur aus dem Konzertsaal kennt, muss diesen leeren Raum durchschreiten. Dabei wachsen fast alle Musikerinnen und Musiker über sich hinaus. So etwas vergisst man in seiner späteren Karriere nicht mehr.

Sie haben gemeinsam mit Musikern aus Nordkorea Konzerte in Deutschland und in Pjöngjang gespielt. Wie kam es dazu?
Bernhard Wulff: Ich bin mongolischer Kulturbotschafter und hatte wegen eines Musikfestivals Kontakt zum Kulturattaché der nordkoreanischen Botschaft in Berlin. 2007 sollten die zehnjährigen diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Nordkorea auch mit Musik gefeiert werden, weswegen der Kulturattaché auf mich zukam. Vier Musikern aus Nordkorea wurde erlaubt, nach Deutschland zu kommen. Wir haben zwei Wochen zusammen geprobt und dann zwei Konzerte in Hamburg und Berlin gespielt. Das dritte Konzert fand in der Hauptstadt Nordkoreas statt. Diese Reise war ein großer Erkenntnisgewinn für alle, die mit dabei sein durften. Wir wurden in Pjöngjang in einem Luxushotel untergebracht, konnten uns aber ansonsten frei bewegen – nachdem wir unsere Handys abgegeben hatten. Ich war überrascht davon, wie sehenswert Pjöngjang ist: Es gibt dort viel zu breite Straßen für sehr wenige Autos und totalitäre Prachtbauten wie zum Beispiel einen Triumphbogen. Aber es ist kein Unort, keine Betonwüste, es gibt auch viele Grünanlagen.

Was möchte man als Schlagzeug-Lehrer, abgesehen von solchen außergewöhnlichen Erfahrungen, seinen Studierenden für ihren beruflichen Weg mitgeben?
Bernhard Wulff: Was mir als Lehrer immer am wichtigsten war, ist blitzsauberes Handwerk, das nichts vertuscht, gepaart mit einem freien Blick über die komplette Musiklandschaft. Wenn man in einem Orchester bestehen oder Wettbewerbe gewinnen möchte, braucht man große handwerklich-technische Kompetenz. Auch Studierende, die sich besonders für Neue Musik interessierten, lernten alle Orchesterstellen, weil sie eine exzellente Schule für Reflexe sind. Sie entwickeln dadurch ein Verständnis für Melodiegestaltung und dafür, ob sie etwa eine Klarinette oder die Bässe unterstützen. Deswegen haben wir uns auch mit Transkriptionen beschäftigt, mit Bach-Chorälen und Schubert-Liedern, die wir selbst gesungen haben. Auch neues Musiktheater gehörte mit zum Aufgabenbereich. Einer meiner Studenten hat mir später erzählt, dass er dadurch seine Bühnenangst überwinden konnte. Umgekehrt mussten sich auch alle Studierenden, die später in einem Orchester spielen wollten, mit zeitgenössischer Musik und mit Musikethnologie auseinandersetzen. Außerdem haben wir das Ensemble-Spiel stark forciert.

Warum ist das Ensemble-Spiel so wichtig?
Bernhard Wulff: Das Ensemble wurde bei uns stark gefördert, weil es nicht nur eine Gattungsform ist, sondern auch eine innere Haltung: Es geht dabei darum, miteinander zu kommunizieren, mit anderen zu agieren und auf sie zu reagieren, Verantwortung zu übernehmen, sie wieder zurückzugeben und sich gegenseitig zu unterstützen. Das beginnt nicht erst beim gemeinsamen Spielen, sondern schon viel früher, etwa beim Instrumenten-Transport. Die Studierenden lernen dadurch einen wertschätzenden Umgang, soziale Kompetenz und eine positive Kommunikation miteinander. Ensemble-Spiel ist ein Modell für eine friedliche Gesellschaft.

Sie haben auch die Musikethnologie erwähnt. Was sollten Schlagzeug-Studierende über die Herkunft ihrer Instrumente lernen?
Bernhard Wulff: Das Schlagzeug ist eine uralte Instrumentalfamilie, die in den meisten Kulturen vorkommt. Auch die Vorfahren unserer klassischen Instrumente kommen nicht aus Europa: Ohne den arabischen, osmanischen oder nordafrikanischen Kulturraum hätten wir keine Geige, keine Gitarre, keine Flöte oder Pauke. Als Schlagzeugerin oder als Schlagzeuger interessieren wir uns zwangsläufig für Musikethnologie: Jedes Schlaginstrument hat eine Geschichte, eine soziale oder rituelle Funktion. Man darf diese Instrumente nicht nur als Gebrauchsgegenstand für schöne Töne sehen, sondern als Dialogpartner. Sie alle haben eine eigene Funktion, eine eigene Würde. Dieser künstlerische Aspekt war für mich als Lehrer immer zentral.

Foto: Ramon Manuel Schneeweiß

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