Interview: »Ich bezahle das Bier, aber bitte kommt zu diesem Konzert«
Simone Schermi kommt aus einer »einfachen Familie« in Norditalien und studiert nach einem abgebrochenen Jura-Studium Geige an der Hochschule für Musik Freiburg. Sein Ziel ist es, mehr Menschen für klassische Musik zu begeistern. Im Interview mit Ben Klaußner spricht er über seinen Vortrag bei TEDx Salzburg, wie er zur Geige kam und wie klassische Konzerte spannender werden könnten.
Herr Schermi, Sie haben auf der TEDx-Konferenz in Salzburg, einem bekannten Forum für den interdisziplinären Austausch, einen Vortrag gehalten. Dort sprachen unter anderem der Creative Director von BMW, eine österreichische Staatssekretärin, Unternehmerinnen und ein KI-Experte. Worum ging es in Ihrem Vortrag?
Simone Schermi: Mein Vortrag trug den Titel »Was passiert, wenn du Musik eine Chance gibst«. Viele Menschen kennen sich nicht so gut mit klassischer Musik aus und empfinden sie als elitär oder altmodisch. Ich wollte sie dazu animieren, sich mehr damit zu beschäftigen. Deswegen habe ich über die große Bedeutung der klassischen Musik gesprochen und darüber, wie sie Menschen aus ganz unterschiedlichen Kulturen und Ländern verbindet, indem sie sehr starke, positive Emotionen auslöst. Ich habe zum Beispiel auch davon berichtet, wie die Hochschule für Musik Freiburg nach dem Zweiten Weltkrieg mit viel Unterstützung aus der Bevölkerung aufgebaut wurde, weil es den Menschen wichtig war, schöne Musik zu hören. Musik ist wie eine Hoffnung, wie eine Brücke zwischen Menschen unterschiedlicher Länder, sie steht für ein gutes, friedliches Leben. Alle können sich an ihr erfreuen, egal wo sie herkommen.
Es war nicht das erste Mal, dass Sie versucht haben, Menschen für klassische Musik zu begeistern, die damit eigentlich nichts zu tun haben wollen.
Simone Schermi: Das stimmt. (lacht) Ich habe ursprünglich Jura in Genua studiert und wohnte in einem Haus mit 20 anderen Studierenden. Dort habe ich Vorträge über klassische Musik gehalten, die gut angekommen sind, das hat mir Spaß gemacht. Ich konnte die anderen Studierenden sogar dazu bringen, sich ein klassisches Konzert anzuhören, die neunte Sinfonie von Ludwig van Beethoven. Es war nicht leicht, sie davon zu überzeugen. Ich sagte: »Ich bezahle das Bier, aber bitte kommt zu diesem Konzert.« Sie meinten zuerst: »Oh nein, müssen wir wirklich?« Aber ich werde nie vergessen, wie geflasht und berührt sie nach dem Konzert auf ihren Stühlen saßen. Sie sagten: »Wir hatten ja keine Ahnung, was klassische Musik wirklich bedeutet.« Klassische Musik kann viele Menschen bewegen, auch wenn sie sie oft als anstrengender, distanzierter und elitärer wahrnehmen als etwa Popmusik.
Sie wollen, dass klassische Musik zugänglicher wird für eine breite Zuhörerschaft über alle gesellschaftlichen Schichten hinweg. Wie könnte das Ihrer Meinung nach gelingen?
Simone Schermi: Wir sollten als klassische Musikerinnen und Musiker unsere Hand mehr in Richtung der »normalen« Menschen ausstrecken, damit nicht in erster Linie ältere Akademikerinnen und Akademiker zu unseren Konzerten kommen, sondern auch mehr jüngere Leute aus allen Schichten der Gesellschaft. Wir sollten weniger abgehoben sein und mehr auf die Menschen zugehen, uns sozial engagieren und stärker in die Gesellschaft einbringen. Und wir sollten als Musikerinnen und Musiker mehr dort spielen, wo wir eine breite Schicht der Gesellschaft erreichen, etwa in Schulen, in Fabriken oder in Altenheimen.
In früheren Zeiten haben die Zuhörerinnen und Zuhörer während der Konzerte miteinander gesprochen, gegessen und getrunken. Das war viel unterhaltsamer als heute.
Simone Schermi
Viele Menschen empfinden klassische Konzerte auch als anstrengend.
Simone Schermi: Genau, man muss so lange stillsitzen und andächtig zuhören. Aber das war nicht immer so: In früheren Zeiten haben die Zuhörerinnen und Zuhörer während der Konzerte oder Opern miteinander gesprochen, gegessen und getrunken. Das war viel unterhaltsamer als heute. Ich finde, klassische Konzerte könnten etwas lockerer sein! Wir sind alle Menschen, das Publikum ist lebendig. Meine Idee wäre, kürzere klassische Konzerte aufzuführen, die nicht länger als zwei Stunden dauern, und sie vielleicht mit etwas Visuellem zu kombinieren – zum Beispiel mit einer Lichtshow, damit sie für das Publikum interessanter sind.
Sie haben in Ihrer Heimatstadt Imperia in Nordwestitalien zusammen mit einem Freund den Kulturverein »Viva Imperia« gegründet, der solche unterhaltsamen Konzertabende anbietet. Wie kam es dazu?
Simone Schermi: Ich habe »Viva Imperia« gemeinsam mit dem Präsidenten Nicolò Fiori und anderen Freunden aus dem Wunsch heraus gegründet, den Blick der Gesellschaft auf Kultur zu lenken. Imperia ist die Heimatstadt des berühmten Komponisten Luciano Berio, das wollen wir international bekannter machen – gerade weil er in Imperia nahezu vergessen ist. Seine Werke sind geprägt durch die Einarbeitung von Volkston in seine Musik, wobei er sich von dem großen ungarischen Komponisten Béla Bartók inspirieren ließ. Berios Musik ist nicht einfach, aber er hat zum Beispiel Geigenduette komponiert, die auch für eine größere Zuhörerschaft gut zu hören sind. Deswegen hatten wir die Idee, ein Geigenkonzert mit mir und einem ungarischen Geiger zu organisieren. Dazu gab es eine Kunstausstellung mit italienischen und ungarischen Künstlerinnen und Künstlern sowie ein kleines gastronomisches Angebot, das braucht man in Italien immer. (lacht) Das Konzert war sehr gut besucht! Musik, Kunst und Essen zusammen, das funktioniert. Im Sommer 2024 planen wir, eine ähnliche Veranstaltung mit einem Konzert und einer Ausstellung in Freiburg durchzuführen. Und 2025 wollen wir zum 100. Geburtstag von Luciano Berio ein Festival in Imperia organisieren mit Musikerinnen und Musikern aus mehreren europäischen Ländern.
Meine Eltern waren nicht damit einverstanden, dass ich Berufsmusiker werde.
Simone Schermi
Wie sind Sie selbst zur klassischen Musik und zum Geigen-Studium gekommen?
Simone Schermi: Ich bin in Imperia aufgewachsen und komme aus einem einfachen Elternhaus. Meine Mutter arbeitet in der Stadtverwaltung, mein Vater ist Krankenpfleger, wir haben keine Musikerinnen oder Musiker in der Familie. Meine Mutter mag klassische Musik, als Kind habe ich gemeinsam mit ihr die großen Werke auf der Stereoanlage gehört. Ich denke, das ist der Grund dafür, dass ich Geige spielen wollte. Ich durfte mit elf Jahren Geigen-Unterricht nehmen, aber meine Eltern waren nicht damit einverstanden, dass ich Berufsmusiker werde. Sie sagten, dass die Musik ein schönes Hobby sei, aber nichts, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
Weswegen Sie sich zunächst für ein Jura-Studium entschieden haben.
Simone Schermi: Mein Großvater war Polizist, auch deswegen habe ich mich für Jura entschieden. Dank eines Stipendiums bekam ich einen Studienplatz in Genua. Ich habe gern Jura studiert, aber ich fühlte mich unruhig, unzufrieden und habe mich gefragt, woher das kommt. Irgendwann habe ich verstanden, dass ich nicht das Richtige studiere. Mein erster Geigenlehrer Alfonso Moretta schlug mir vor, für ein Jahr das Musik-Studium auszuprobieren und zu Jura zurückzukehren, falls es nichts für mich sei. In dieser Zeit wurde mir klar, dass ich mit Musik weitermachen und Berufsmusiker werden möchte. Heute bin ich glücklich, dass ich mich dafür entschieden habe. Meine Eltern haben sich damit arrangiert und mich weiterhin unterstützt, nur mein Großvater fand das nicht so gut. Aber er stammt aus einer anderen Generation. (lacht)
Wie kam es dazu, dass Sie auf der TEDx-Konferenz einen Vortrag halten durften?
Simone Schermi: Ich habe 2018 an der »Calarossa Summer School« in Sizilien teilgenommen und dort den späteren Leiter von TEDx Salzburg, Ed Bayo, kennengelernt. Wir hatten danach keinen Kontakt mehr, aber im Sommer 2023 war ich für einen Meisterkurs in Budapest und traf ihn zufällig in der Stadt. Ich beschloss, ihn zum Abschlusskonzert des Festivals einzuladen. Er war total begeistert von dem Konzert und hat mich danach gefragt, ob ich in Salzburg einen Vortrag halten möchte, denn sie hatten zu diesem Zeitpunkt noch keinen Musiker für die Konferenz.
Ich möchte möglichst vielen Menschen klassische Musik näherbringen und sie dafür begeistern.
Simone Schermi
Sie haben an der Hochschule für Musik Freiburg einen künstlerischen Master-Abschluss im Fach Violine gemacht. Gerade absolvieren Sie einen zweiten Master-Studiengang, der mehr pädagogisches Wissen vermittelt. Was wollen Sie damit beruflich machen?
Simone Schermi: Ich mache den zweiten Master, damit ich mehr über pädagogische und psychologische Techniken und über künstlerisches Management lerne. Ich wollte außerdem gern länger mit meiner Professorin Simone Zgraggen zusammenarbeiten, weil ich ihr so viel verdanke, auch bei der Vorbereitung meines TEDx-Vortrags. Nach meinem Studium würde ich gern eine eigene Geigenklasse unterrichten, aber auch Konzerte organisieren. Und das mit dem Ziel, möglichst vielen Menschen klassische Musik näherzubringen und sie dafür zu begeistern, das ist mir sehr, sehr wichtig.
Foto: Ramon Manuel Schneeweiß
Simone Schermi
Simone Schermi wurde in Imperia in Nordwestitalien geboren. Ab seinem elften Lebensjahr erhielt er Geigenunterricht bei Prof. Alfonso Moretta an der Musikschule »G. Amadeo« und schloss sein Bachelor-Studium am Konservatorium von Genua bei Prof. Vittorio Marchese ab. Im Juli 2023 beendete er sein Master-Studium im Fach Violine bei Prof. Simone Zgraggen an der Hochschule für Musik Freiburg. Er war Konzertmeister und Solist des regionalen Jugendorchesters von Ligurien und arbeitet derzeit mit mehreren Orchestern zusammen, unter anderem mit der »Basel Sinfonietta«. Er absolvierte ein Erasmus-Semester an der Musikhochschule Mannheim bei Noé Inui und nahm an mehreren Meisterkursen teil, unter anderem an der »AIMS – Internationale Musikakademie von Solsona« in Spanien und der »Festival Academy Budapest« in Ungarn. Zurzeit absolviert er sein erstes Semester im Master-Studiengang Musikpädagogik an der Hochschule für Musik Freiburg.
Den Vortrag von Simone Schermi bei TEDx Salzburg gibt es zum Nachhören auf YouTube.